Der
Erfolg der notorischen Selbstüberschätzer
Gönnen
Sie sich eine eigene Meinung? Halten Sie sich für einen selbständig
denkenden Menschen – unbeeinflusst von der Macht der Masse? Kämpfen
Sie für Ihre Anschauungen und Werte, auch unter schwierigen
Umständen?
Die
meisten werden mit ja antworten und spiegeln so ein Selbstbild, das
leider nur selten der Realität entspricht. Der Mensch ist wohl eher
ein Herdentier – zumindest, wenn man den Forschungsergebnissen
einiger Psychologen und Hirnforscher glauben schenkt. Die fanden
heraus, dass es den Menschen von Natur aus schwer fällt,
eigenständige Entscheidungen zu treffen und dafür dann auch gerade
zu stehen.
Hochautonome
und Niedrigautonome – Widerständler und Mitläufer
Testpersonen
wurden befragt, ob sie sich für autonom oder eher für angepasst
hielten und teilten die Teilnehmer in diese beiden Gruppen auf.
Im
Praxistest sollte sich nun zeigen, ob das Verhalten der
Selbsteinschätzung entsprach. Die wenig beeinflussbaren Probanden
waren die „Hochautonomen“, die nach eigener Selbsteinschätzung
eher beeinflussbaren, nannte man die „Niedrigautonomen“.
Es
wurden unterschiedliche Versuche gemacht, bei denen es immer darum
ging, in wie weit Manipulationsversuche Wirkung zeigten und die
Antworten der Teilnehmer beeinflussten. Manipuliert wurde durch
gefälschte Statistiken, Zeitungsartikel und angebliche Aussagen von
Fachleuten usw.
Das
Ergebnis war mehr als überraschend. Ausgerechnet die Person, die
sich bei der Befragung als sehr beeinflussbar und keineswegs autonom
eingeschätzt hatte, lies sich am wenigsten durch Fremdaussagen und
Falschinformationen von ihrer Meinung abbringen.
Die
angeblich „Hochautonomen“ hingegen, passten sich in ihren
Aussagen viel häufiger der Mehrheitsmeinung an, selbst wenn diese
eindeutig falsch war, als die Personen aus der Gruppe der
„Niedrigautonomen“.
Da
sich der Mensch unter normalen Umständen nicht in einem
manipulierten psychologischen Szenario befindet, ist es durchaus
hilfreich und verständlich, dass wir uns in unseren Entscheidungen
von den Erfahrungen der Masse leiten lassen. Die Frage ist nur, woher
kommt die Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung und Realität?
Auch
bei Untersuchungen zum Thema Werbung zeigte sich, wie sehr wir
Menschen uns von angeblichen Trends manipulieren lassen, aber dennoch
glauben, wir würden uns unsere Meinung selbst und durch intensives
Nachdenken bilden.
Magersucht
ist ein ganz anderes Thema, bietet aber einen wichtigen Hinweis auf
den Einfluss von Hirnarealen, in Bezug auf unsere Selbstwahrnehmung.
Eine
Studie der Uni Bochum
(http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2013/pm00019.hhtml.de) hat
nachgewiesen, dass es Unterschiede im Gehirn magersüchtiger und
gesunder Frauen gibt. Demnach leiden magersüchtige Frauen an einem
"Verbindungsfehler" zwischen zwei Hirnregionen, die für
die Verarbeitung von Körperbildern zuständig sind. Als Folge nehmen
sich magersüchtige Frauen als dick war, obwohl sie objektiv
untergewichtig sind. Das ist auch eine Form der falschen
Selbsteinschätzung, erklärt aber nur das Phänomen der Magersucht,
da es sich um einen Defekt in einer ganz bestimmten Gehirnregion
handelt, die nur die Körperwahrnehmung abbildet [„fusiform body
area" (FBA) und der „extrastriate body area“ (EBA)].
Das
Gefühl etwas besonderes bzw. besser zu sein als andere, entsteht im
sogenannten sensomotorischen Striatum und der Dopaminspiegel spielt
hierbei eine große Rolle. Der Anteriore Cinguläre
Cortex (ACC) wiederum, hat im Gehirn die Aufgabe, durch Hemmung den
Größenwahn zu verhindern. Ist die Verbindung zwischen diesen beiden
Gehirnarealen gestört, kommt es zu Selbstüberschätzungen.
Sollten
Sie sich demnächst einmal dabei erwischen, dass Sie sich für den
besseren Präsidenten halten und unter Ihnen die Welt eine gerechtere
wäre, seien Sie nicht traurig. Untersuchungen haben gezeigt, dass
ein zu stark wirkender ACC zu depressivem Verhalten führt. Bei
schwer depressiven Menschen wurde nachgewiesen, dass durch eine
Störung im Dopaminhaushalt das sensomotorische Striatum kein
„ich-bin-toll–Gefühl“ entstehen lassen kann. Wenn Sie also die
Wahl haben zwischen Selbstüberschätzung und Depression, dann nehmen
Sie das Erstere, aber behalten Sie es bloß für sich! Die
Selbstüberschätzer sind zwar oft erfolgreich, aber haben wenig
Sympathien beim Rest der Menschheit.
Der
Erfolg der notorischen Selbstüberschätzer hängt meines Erachtens
damit zusammen, dass ihr selbstbewusstes und siegessicheres Auftreten
den Gegner blufft und dieser oft kampflos aufgibt. Würden wir uns
nicht bluffen lassen, gäbe es vielleicht bald keine „Nieten in
Nadelstreifen“ mehr.
Ein
weiterer Grund liegt in der Fähigkeit des Selbstüberschätzers sich
auf „Sieg“ zu fokussieren. Da er realitätsfremd denkt und
dementsprechend auch handelt, ist ihm „verlieren“ oder
„scheitern“ ein Fremdwort. Wer so auf Sieg fokussiert ist, hat
weitaus größere Chancen seine Ziele zu erreichen, als ein Mensch
mit realistischer Selbsteinschätzung, denn dieser erkennt
Fallstricke und Schwächen der eigenen Person und agiert daher oft zu
vorsichtig bzw. gar nicht oder zu langsam.
Falls
Sie jetzt dazu neigen sollten, sich eine gewisse Portion
Selbstüberschätzung anzutrainieren, bedenken Sie bitte, dass jedes
Ziel einen Preis hat. Fragen Sie sich, ob Sie diesen Preis bezahlen
wollen. Besser ist es vielleicht, sich nicht mehr von
Selbstüberschätzern bluffen zu lassen und ihnen die Stirn zu
bieten, damit der Spruch: „Die dümmsten Bauern haben die dicksten
Kartoffeln“, bald der Vergangenheit angehört.
Liebe
Grüße
Thomas
Pfitzer